Shiva Shafahi berät Geflüchtete mit LGBTIQ*-Hintergrund
"Die Nachfrage ist groß", sagt Shiva Shafari, Fachberaterin für Geflüchtete mit LGBTIQ*-Hintergrund.
Frau Shafahi, Sie beraten eine eng gefasste Klient*innengruppe. Gibt es da überhaupt eine große Nachfrage?
Ja, die gibt es auf jeden Fall. Inzwischen sind es 39 Menschen mit Flüchtlingshintergrund, die ich seit September berate und betreue. Und die Nachfrage steigt weiter. Meine Klient*innen kommen aus Pakistan, Ägypten, Iran, El Salvador, Saudi-Arabien, Afghanistan und vielen weiteren Ländern. Sie alle haben natürlich einen LGBTIQ-Hintergrund, das heißt, zu mir kommen beispielsweise homosexuelle Frauen und Männer, transgender Menschen und bisexuelle Personen. Es sind vor allem junge Menschen, fast alle sind jünger als 35. Und die meisten sind männlich.
Mit welchen Anliegen kommen die Menschen zu Ihnen?
Das ist ganz unterschiedlich. Oft geht es um die Verbesserung der Wohnsituation oder bei Geldproblemen. Fast alle haben aber auch psychische oder seelische Probleme oder ich helfe bei Asylverfahren und kümmere mich um eine Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis. Oftmals haben meine Klient*innen negative Erfahrungen gemacht und haben Angst vor Mobbing. Ich habe schon Klient*innen zum Arzt begleitet, wenn es beispielsweise um Hormonbehandlungen ging. Und auch bei Rechtsanwaltsgesprächen war ich nach einem Coming-out dabei.
Ihre Klient*innen sind meist männlich. Spielt es da eine Rolle, dass Sie eine Frau sind?
Ja, das ist tatsächlich ein Thema. Gerade bisexuelle Männer aus dem arabischen Raum haben Vorbehalte. Sie fragen sich, wie ihnen eine Frau denn überhaupt helfen könne. Bei homosexuellen Männern begegnen mir diese Vorurteile nicht.
Ursprünglich sind Sie studierte Biologin …
Das stimmt. Aber nicht nur. Ich war schon in den 90er Jahren im Iran in der Frauenbewegung aktiv, meine Ur-ur-oma hat in meinem Heimatland eine Frauenzeitschrift publiziert. Mein Engagement für Menschen steckt also in meinen familiären Wurzeln. Und ja, ich habe Biologie studiert aber auch einen Master in Pädagogik gemacht. Im Iran habe ich als Lehrerin und Leiterin eines Gymnasiums gearbeitet.
Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Kritik am Regime führte bei mir schließlich zum Arbeitsverbot, das war im Jahr 2000. Da ich durch meine Familie einen Bezug zu Deutschland hatte - meine Mutter hat in den 60er Jahren in Frankfurt studiert - beschloss ich nach Deutschland zu gehen. Ich habe ein Studentenvisum bekommen und machte an der Uni Mainz ein Aufbaustudium mit Schwerpunkt Umweltforschung.
Und dann kamen Sie mit dem Thema Gender-Forschung in Kontakt.
Genau. Das war durch einen Kurs an der Uni Marburg zum Thema Gender-Studies. Schon damals ging es in diesem Kurs um mehr als um Frauen und Männer. Mein Interesse an dem Thema war geweckt und ich besuchte zudem Kurse in internationalem Recht und vertiefte mich in das Thema. Ich engagierte mich im Frauenbüro der Uni Mainz und war bis vor Kurzem 1. Vorsitzende des Frauenzentrums in Mainz. Außerdem war ich immer wieder bei jeder Flüchtlingskrise als Ehrenamtliche aktiv.
Wenn Sie aktuell Nachrichten aus Ihrem Heimatland Iran hören, dann …
… ist das für mich auf der einen Seite eine Katastrophe, wenn ich sehe, dass die jungen Männer und Frauen sterben oder ihre Augen verlieren. Auf der anderen Seite bin ich sehr stolz auf die Menschen im Iran. Es freut mich, dass der Aufstand als feministische Revolution (Frau-Leben-Freiheit) angefangen hat, aber es sind auch viele Männer dabei. Die Diktatur hat versucht, Frauen und Männer zu spalten, das hat sie aber nicht geschafft. Es geht hier vor allem um Menschenrechte. Und ich bin sicher, das Volk wird gegen die Diktatur gewinnen, es braucht nur einen langen Atem. Letztendlich schaffen die Iraner*innen aber die Wende.
Wie geht es für Sie als Fachberaterin weiter?
Meine Stelle als Fachberaterin für Geflüchtete mit LGBTIQ*-Hintergrund wird von der Stadt Mainz finanziert und hat eine Laufzeit von einem Jahr. Das heißt, das Projekt endet zum 1. September 2023 und ich weiß nicht, ob es verlängert wird. Ich würde gern weitermachen, denn die Nachfrage ist da.
Die Abkürzung LGBTIQ* (Englisch: Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer) steht für lesbische, schwule, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queer lebende Personen und Lebensweisen. Das Sternchen steht für weitere Geschlechtsidentitäten.